Trauerarbeit im Beruf

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Trauerarbeit im Beruf

Katrin Juntke Zukunftsmanagement
Trauerarbeit im Beruf
Mit Verlust umgehen
 
Verlässt eine Arbeitskollegin das Unternehmen, so erfährt das Ende dieser Bindung eine Würdigung und einen rituellen Abschluss: meist anhand einer kleinen Feier mit Ansprache und Abschiedsgeschenk. Bindungen, die nicht personenbezogen sind, finden indes oft keinen eigentlichen Abschluss. Wenn ein Projekt begraben wird, Büroräumlichkeiten sich ändern, Zuständigkeiten wechseln oder Abläufe angepasst werden, fehlt meist jede Würdigung des Alten. Doch auch dieser Verlust von Bekanntem muss verarbeitet werden. Transformation ist das Gebot der Stunde, Flexibilität wird gefordert – und Passion gefeiert. Emotionale Reaktionen auf betriebliche Veränderungen, sind jedoch nicht erwünscht. Dabei wäre es auch da wichtig, die Mitarbeitenden emotional abzuholen.

Bindungen zu materiellen und immateriellen Dingen
Projekte, die wir initiiert oder vorangetrieben haben, wachsen uns ans Herz. Wir fühlen uns für sie verantwortlich. Nicht umsonst wird in diesem Zusammenhang gerne vom eigenen „Baby“ gesprochen. Selbst dann, wenn wir nicht mehr im Unternehmen tätig sind, interessiert es uns, wie es ihnen geht. Ob sie wachsen und gedeihen, eine Transformation erfuhren oder irgendwann abgesägt oder ersetzt wurden. Haben wir uns vom Unternehmen verabschiedet, fällt es uns in der Regel leicht, diese Veränderungen mit einer gewissen Distanz zu betrachten. Sind wir jedoch noch im Unternehmen tätig, sieht das anders aus. Manchmal gibt es gute Gründe für Veränderungen wie etwa wirtschaftliche Rentabilität oder veränderte Bedürfnisse im Marktumfeld. Manchmal nicht. Wie geht eine Organisation angemessen damit um, wenn zumindest ein Teil des beruflichen Selbstverständnisses von einzelnen Angestellten, Teams oder gar der ganzen Abteilungen wackelt?

Rituale sorgen für einen guten Abschluss  
So zu tun, als könne man einfach zum „business as usual“ übergehen, funktioniert definitiv nicht. Denn auch Trauerarbeit, die nicht personenbezogen ist, braucht ihre Zeit und gegebenenfalls ein würdiges Ritual. So lässt sich zum Beispiel der Verkauf des eigenen Elternhauses mit einer Feier würdigen, an der Geschichten ausgetauscht werden, die Freunde und Familie damit in Verbindung bringen und die sie geprägt haben. Etwas Liebgewonnenes anständig verabschieden zu können, schafft Platz für Neues. Im betrieblichen Kontext bedeutet das, es wird Energie für neue Projekte frei. Wer im Guten abschliesst, hadert nicht und kann seine Aufmerksamkeit und seinen Fokus wieder neu ausrichten. Er oder sie ist wieder im Hier und Jetzt und lebt nicht in der Vergangenheit. Gerade bei Change-Prozessen ist dies von grosser Wichtigkeit. Nach vorne schauen ja, klar. Aber vorher unbedingt würdigen, was war und der Vergangenheit ihre Berechtigung nicht absprechen, indem sie ausgeblendet wird.

Trauer erkennen und Prozesse ermöglichen
Die Trauer über gescheiterte Ideen, abgebrochene Projekte und aufgelöste Organisationseinheiten braucht Zeit. Und sie lässt sich wie andere Trauerprozesse in verschiedene Phasen unterteilen. Für eine Organisation ist wichtig, dass sie diese Phasen anerkennt, zulässt, fördert und wo möglich unterstützt.

1. Trauer normalisieren
Der erste Schritt ist es, anzuerkennen, dass Trauer eine normale Reaktion auf eine Verlusterfahrung ist. Dies betrifft nicht nur den Verlust von Menschen, sondern auch von materiellen und immateriellen Dingen, an denen wir hängen.

2. Trauer erkennen
Gerade in einem Arbeitsumfeld, in dem negative Emotionen nicht thematisiert werden, ist es herausfordernd, die eigene Trauer zu erkennen. Führungspersonen und andere Teammitglieder können unterstützen, indem sie aufmerksam hinsehen und allfällige Verhaltensänderungen wahrnehmen. Trauer kann sich ganz unterschiedlich manifestieren. Während Weinen und gedrückte Stimmung bekannt sind, werden Rückzug oder gar Wut weniger mit Trauer in Verbindung gebracht, obschon auch sie mögliche Anzeichen sein können.  

3. Trauer thematisieren
Wenn Verhaltensänderungen festgestellt werden, gilt es, sie anzusprechen. Dies ist eine schwierige Aufgabe, die vom Umfeld – noch dazu dem beruflichen, in dem man sich anders kennt als im privaten – viel Empathie und Fingerspitzengefühl verlangt. Vermutungen und Zuschreibungen müssen hier unbedingt vermieden werden.  

4. Raum geben und Hilfe anbieten
Stattdessen soll der/dem Betroffenen Raum gegeben werden, um sich mitzuteilen und vielleicht sogar selbst dazu zu äussern, was helfen könnte und was er/sie jetzt braucht. Auch professionelle Hilfe im Rahmen eines Case Management oder einer Therapie sollten als Optionen bedacht werden.

5. Trauer zulassen
Ereignisse, die uns im Leben positiv oder negativ bewegen, begehen wir mit Ritualen. Seien das Schulabschlüsse, Hochzeiten und Wohnortwechsel – oder eben Trauerereignisse wie ein Todesfall. Um eine gesunde Arbeitsumgebung zu fördern, tun Unternehmen gut daran, je nach Situation ebenfalls auf Rituale zurückgreifen. Wie können sich die Mitarbeitenden zum Beispiel von den alten Büroräumlichkeiten oder einem gescheiterten Projekt verabschieden? Wenn hierfür geeignete Prozesse gefunden werden, hilft das nicht nur bei der Trauerbewältigung des/der Einzelnen, sondern kann auch zum Teamzusammenhalt beitragen – und zur gemeinsamen Vision für die Zukunft.

(Vermeintlicher) Widerstand bei Change-Prozessen
Gerade Change-Prozesse laufen oft nach demselben Muster ab: Die Führung zeigt auf alle erdenklichen Arten auf, warum das Neue besser ist als das Alte. Sie investiert viel Zeit und Energie in Visualisierungen, PowerPoint-Präsentationen und Kommunikationsbotschaften. Doch die Mitarbeitenden sträuben sich dagegen. Oft liegt das gar nicht daran, dass sie die Vorteile oder die Notwendigkeit des Neuen nicht sehen. Sie bräuchten jedoch zuvor Zeit und Raum, um sich vom Alten zu verabschieden. Um zu würdigen, was war und womit sie in der Vergangenheit viel Zeit verbracht haben – oft verbunden mit sehr viel Herzblut. Oft geht vergessen, dass die treibenden Kräfte hinter dem Change – meist die Führung – einen enormen Vorsprung haben, weil sie sich schon seit Monaten emotional und inhaltlich mit dem Change befassen, bevor er für die meisten Mitarbeitenden ausgerollt wird und sie betrifft. Sie haben, was in der Forschung als Change Lag (analog zum Jet Lag) bezeichnet wird. Sie sind schon viel weiter im Prozess und empfinden das allfällige Zögern der Mitarbeitenden als Verweigerung, statt als natürliche Reaktion auf Veränderung.

Aufgeräumt in die Zukunft
Altes zu entsorgen, soll ein bewusster Akt sein. Nur so kann das Gute mitgenommen werden und Raum für Neues entstehen. Nicht ohne Grund empfiehlt etwa Marie Kondo, die japanische Ordnungsberaterin, sich beim Ausmisten bei den einzelnen Gegenständen zu bedanken und zu würdigen, wie sie unser Leben bereichert haben. Ein guter Abschluss mit dem Alten ist die Voraussetzung für einen gelingenden Neuanfang – auch in der Arbeitswelt.





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